Autobiographie, Tagebücher und Briefe sind populäre Quellen der Geschichtswissenschaft. Sie geben Einblicke in die Erfahrungswelt historischer Akteure, erlauben Rückschlüsse auf Selbstbilder, Individualisierungsprozesse und bilden die Quellenbasis für Studien zur Alltags-, Religions- und Geschlechtergeschichte. Es gibt kaum Fragestellungen in der Geschichtswissenschaft, die ohne Selbstzeugnisse beantwortet werden können. Doch die seit den 1990er Jahren wachsende Aufmerksamkeit für Selbstzeugnisse ging mit hitzig geführten Diskussionen über ihren Quellenwert und die Wahl der methodischen Herangehensweisen einher. Während die einen in diesen Texten einen unmittelbaren Zugang zum Alltag und den Erfahrungs- und Lebenswelten historischer Akteure sahen, plädierten andere zur Zurückhaltung. Die Quellen seien „subjektiv“ und nur mit Vorsicht zu gebrauchen.
Die Übung kombiniert die Lektüre von konkreten Quellen aus Osteuropa mit theoretisch-methodischen Texten. Zentrale Ansätze der Selbstzeugnisforschung werden diskutiert. Wir fragen nach den Anlässen, den Kontexten, den Überlieferungsbedingungen sowie den sozialen und kulturellen Funktionen, in denen autobiographisches Schreiben im östlichen Europa stand. Neben klassischen Texten der Autobiographieforschung stehen neuere Ansätze im Mittelpunkt, die autobiographisches Schreiben als soziales Handeln fassen und dabei auch auf transkulturelle Bezüge aufmerksam machen. Zudem werden wir in der Übung ausloten, welche Anregungen die Geschichtswissenschaft aus dem Dialog mit der Literaturwissenschaft mitnehmen kann.
Literatur:
Depkat, Volker: Autobiographie und die soziale Konstruktion von Wirklichkeit, in: Geschichte und Gesellschaft 29.2003, S. 441-476; Herzberg, Julia: Autobiographik als historische Quelle in 'Ost' und 'West', in: Dies., Christoph Schmidt (Hrsg.), Vom Wir zum Ich.
- Trainer/in: Julia Herzberg
- Trainer/in: Johanna Hollesch
- Trainer/in: Agnes Rugel