Schon
seit den 1980er Jahren ist Haiti eines der Länder, aus denen Québec jährlich
die meisten Migrant*innen empfängt. Die haitianische Community in Montréal ist
eine der etabliertesten und kulturell aktivsten. Gleichzeitig hält sie als
diasporische Gemeinschaft vielfältige Kontakte zu anderen haitianischen
Hotspots in Nordamerika und zur Heimatinsel. Damit ist sie ein interessantes
Beispiel, an dem man die Verflechtung lokaler, nationaler und transnationaler
Identitätsdiskurse und Verortungen untersuchen kann.
Das Seminar befasst sich aus kultur- und
migrationswissenschaftlich fundierter Perspektive mit der Migration nach
Québec, haitianisch-quebecer Institutionen sowie vor allem mit kulturellen Artefakten
und künstlerischen Praktiken haitianisch-stämmiger Personen in und aus Québec.
Texte aus verschiedenen Medien und Gattungen bilden das Korpus: der roman dessinéVers d’autres rives (2019) von Dany Laferrière, dessen
programmatischer identitätspolitischer Essay Je suis un écrivain japonais (2008); die sehr unterschiedlichen
Romane Le Livre d’Emma (2004) von
Marie-Célie Agnant und Le tumulte de mon
sang (2008) von Stanley Péan; Songtexte der Rapperin Jenny Salgado; Texte
und Performances der Geschichtenerzählerin Joujou Turenne; der Dokumentarfilm Haïti (Québec) (1985) von Tahani Rached
und (Überraschung!) ein Spielfilm, den wir in Kooperation mit den Kinos im
Andreasstadel im Rahmen eines quebecer Filmtags auf der großen Leinwand ansehen
werden!
Relevant für die Ausbildung einer Diasporaidentität
zwischen Haiti und Québec sind dabei: die kritische Aufarbeitung der Kolonial-
und Sklavereigeschichte der Karibik und Nordamerikas, die ‚Geschichte der
Schwarzen‘, wie sie in Québec und Kanada neuerdings erforscht wird, die Beschäftigung
mit Diktaturerfahrung, Exil und Migration in der rezenten Geschichte, der
ebenso nostalgische wie politisch engagierte Blick auf die ehemalige Heimat,
die Anprangerung von Marginalisierung in der globalen kapitalistischen
Wirtschaftsordnung, das Leben zwischen den Kulturen (transculture, Interkulturalismus) und den verschiedenen
Generationen der Migration, das Anknüpfen an haitianische Populärkultur, an
Kunstformen und Folklore und deren Neuadaptation im Lebenskontext der neuen
Heimat.
Zur
Einarbeitung empfehlen wir, bereits vor der Vorlesungszeit mit der Lektüre der
Langtexte zu beginnen. Sie können gerne vorab landeskundliche Informationen zur
haitianischen Migration recherchieren! Die Filme von Tahani Rached bietet das
Office National du Film auf seiner Plattform kostenlos zum Streaming an.
Literatur zum Einstieg:
KWATERKO Józef, « Les fictions identitaires des romanciers haïtiens du
Québec », Revue de littérature comparée, 2002/2 (n o
302), p. 212-229. DOI : 10.3917/rlc.302.0212 .
URL : https://www.cairn.info/revue-de-litterature-comparee-2002-2-page-212.htm
KWATERKO Józef, « Vers une “écriture
métisse”: le roman des immigrants haïtiens du Québec », Signótica. 2010 (22). 10.5216/sig.v22i1.12726 .
URL :https://www.researchgate.net/publication/272850226_Vers_une_ecriture_metisse_le_roman_des_immigrants_haitiens_du_Quebec