Wie Kultur in Bild und Ton festzuhalten sei, darüber diskutierten bereits 1900 auf dem Internationalen Völkerkundekongress Forscher in Paris. Jene (audio-)visuellen Dokumente, für die Entdecker und Abgesandte der Nationalmuseen von den europäischen Kolonien bis in die unerforschtesten Ecken der Welt reisten, blieben allerdings nicht lange ein Forschungsgegenstand. Legendäre Filme wie Robert J. Flahertys „Nanook Of The North“ (1922) und „Moana“ (1926) brachten exotische Lebensweisen – von den Inuit bis zu den Völkern der Südsee – als Kassenschlager in die Kinos. Von den Museen und Kinos eroberte der ethnologische Film in den 1960er-Jahren schließlich auch das Fernsehen und die Filmfestivals. Heute ist er gleichsam Industrie und Instrument.
Die außenstehende Perspektive auf Kultur stellte dabei ebenso ein Problemfeld für die Filmemacher dar, wie die Art, mit der sie Kultur inszenierten. Zwischen der romantisierenden, lukrativen Darstellung von Stereotypen und der intensiven aber aufwändigen Langzeitdokumentation von sozialen Beziehungen, Riten, Traditionen und Lebensweisen, die im Sinne des humanitären Dokumentarfilms auch eine Bewahrung vor dem Vergessen bedeutete, wurde der ethnologische Film immer wieder kontrovers diskutiert. Um das breite Feld zu vermessen, spannt das Seminar deshalb einen Bogen über die letzten hundert Jahre des ethnologischen Films. Ausgehend von filmischen Beispiele von Robert J. Flaherty (Moana, 1926) über Paul Lieberenz (Urwaldzwerge in Zentralafrika, 1941), Jean Rouch (Chronique d’un été, 1961) bis hin zu Edmund Ballhaus (Über Der Kohle Wohnt Der Mensch, 1995) soll im Seminar die theoretische und methodische Diskussion von Dokumentarfilm als Forschungsinstrument nachvollzogen werden.
Die Seminarteilnehmer eignen sich dabei Wissen über die Theorie und Geschichte visueller Kulturanthropologie, im Besonderen die Instrumentalisierung von Dokumentarfilm als Forschungsmethode, an. Über prominente Protagonisten des ethnologischen Films aus Gegenwart und Vergangenheit erwerben sie grundlegende Kompetenzen für das Lesen und den Einsatz von Bildern zwischen Forschung und Filmindustrie.