Abstract:
Angesichts ihres Niedergangs im 18. Jahrhunderts, der in den drei polnischen Teilungen mündete, wurde die soziale, politische und rechtliche Verfassung der polnisch-litauischen Rzeczpospolita mit ihrem schwachen Wahlkönigtum meist negativ als Sonderweg in der europäischen Geschichte verstanden. Gegenüber den effizienteren „absoluten“ Monarchien des Kontinents sei die Regierung kaum handlungsfähig gewesen. Denn schließlich reichte es, dass ein einziger Adliger sein liberum veto (Vetorecht) geltend machte, um den Sejm, also das Parlament lahmzulegen. So sei es auch vorprogrammiert gewesen, dass sich das Land im Wettkampf der Mächte nicht würde behaupten können.
Doch war die Adelsrepublik der ausgedehnteste Staat im Europa der Frühen Neuzeit (das Moskauer Reich rechnete man nicht eindeutig zu Europa). Sie reichte in ihrer Blütezeit in der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert von der Ostsee bis fast ans Schwarze Meer und umfasste das Territorium des heutigen Polens (weitgehend), Litauens, Lettlands, Weißrusslands, der Ukraine, sowie Teile des heutigen Estlands, Russlands, Moldawiens und Rumäniens. Als Vielvölkerreich beherbergte sie unterschiedlichste Konfessionen und Religionen. Neben den Titularnationen, meist katholische Polen und katholische wie protestantische Litauer, lebten dort orthodoxe und unierte Ukrainer und Weißrussen, meist protestantische Deutsche und Esten, sowie Juden, muslimische Tataren, apostolische Armenier und noch einige kleinere Minderheiten. Es gab sowohl friedliches konfessionelles Mit-/Nebeneinander und Toleranz, auch von Seiten des Staates, als auch Diskriminierung, Konversionsdruck und heftige gewalttätige Konflikte entlang sozialer, religiöser und ethnischer Konfliktlinien. Zwar ist die sog. „Sintflut“ (potop) als Anfang vom Ende verstanden worden. Denn in der Jahrhundertmitte wurde das Land zunächst von einem riesigen Bürgerkrieg mit Kosaken und Bauern in seinen Grundfesten erschüttert (ab 1648), um dann zusätzlich noch von russischen, schwedischen und osmanisch-krimtatarischen Invasoren überschwemmt zu werden. Doch hatte sich die polnisch-litauische Armee nicht nur bis in die 1630er Jahre sehr gut gegen das Moskauer Reich behaupten können, sondern 1683 war es wiederum der polnische König Jan Sobieski mit seinen Truppen, der eine führende Rolle bei der Vertreibung der Osmanen aus der Umgebung von Wien wie auch aus Ungarn und großen Teilen Europas spielte. Insofern lässt sich das 17. Jahrhundert keineswegs so eindimensional bewerten, wie es in der Geschichtsschreibung oft geschehen ist.
In der Übung werden wir einzelne Sonden setzen und dabei besonderes Augenmerk auf die Wahrnehmung der Zeitgenossen selbst richten, die im 17. Jahrhundert natürlich noch nichts von den späteren Teilungen ahnten. Da die Entwicklungen im Land von der europäischen Publizistik teilweise sehr aufmerksam verfolgt wurden, werden wir dabei v.a. mit Quellen in westlichen Sprachen arbeiten können.
Literatur:
Stone, Daniel: The Polish-Lithuanian State, 1386-1795. University of Washington Press 2001.
Plokhy, Serhii: The Gates of Europe. A History of Ukraine. Penduin Random House UK, 2015.
Bömelburg, Hans-Jürgen et al. (Hrg.): Polen in der europäischen Geschichte: Ein Handbuch in vier Bänden. Band 2: Frühe Neuzeit. Hiersemann, Stuttgart 2017.
Leistungsnachweis: regelmäßige Anwesenheit, Lektüre und Mitarbeit. Vorbereitung einzelner Themen zur Gestaltung der Sitzungen/ Impulsreferate.