Die europäische Romantik ist von einem regen kulturellen Transfer ihrer Konzepte geprägt. Dies soll in der Vorlesung vor allem anhand der slavischen Literaturen, konkret der russischen, tschechischen und polnischen nachgezeichnet werden. In der Entwicklung ihrer je eigenen Konzepte von Romantik nehmen diese Kulturen auf andere, bereits kursierende Konzepte Bezug und adaptieren sie der eigenen kulturellen Situation. So sind das in der deutschen Frühromantik entwickelte, philosophieaffine Konzept der Universalpoesie und die damit verbundene Aufwertung der Literatur gegenüber der Philosophie, aber auch die Identitätsphilosophie Schellings für den Literaturzentrismus der russischen Kultur äußerst attraktiv. Es kommt im Kreis der Moskauer „Weisheitsfreunde“ um Vladimir Odoevskij zu einem „Schellingianismus“, den Odoevskij später in seinem Erzählzyklus Russkie noči (Russische Nächte) literarisch gestaltet. Vielfältige Anregungen bezog er dabei auch von E.T.A. Hoffmann. Zu einem wandernden Konzept wird auch der Byronismus, jene Form von Poemen, die um einen charakteristischen, von der Gesellschaft in Weltschmerz enthobenen Helden kreisen und die exemplarisch zunächst bei Byron gestaltet und dann vielfach unter dem Schlagwort des byronistischen Helden rezipiert wurde. Eine Auseinandersetzung mit diesem Typus sind Aleksandr Puškins Südliche Poeme sowie sein Evgenij Onegin. Auch der tschechische Romantiker Karel Hynek Mácha knüpft mit seiner Gestaltung eines zerrissenen Helden in Máj (Der Mai) hier an. Für die tschechische Romantik, die sich vor allem im Zeichen der nationalen Wiedergeburt vollzieht, ist die idealisierende Hinwendung zum ,einfachenVolk‘, die sich ebenfalls in vielen Kulturen der Zeit beobachten lässt, von besonderem Gewicht – exemplarisch in Karel Jaromír Erbens Balladensammlung Kytice (Der Blumenstrauß). Was in der deutschen (Früh-)Romantik als „Neue Mythologie“ konzipiert wird, als Forderung an die Literatur, gemeinschaftsstiftende Werke zu schaffen, wird mit einem Werk wie Jan Kollárs Slávy dcera (Der Sláva Tochter) gewissermaßen umgesetzt: ein mehrere Gesänge umfassender Sonettzyklus, der einen slavischen Mythos gleichermaßen schafft und inszeniert. Auch die Fälschung mittelalterlicher Handschriften (Grünberger und Königinhofer Handschrift) lässt sich in diesem Kontext lesen. Für die polnische Romantik wird vor dem politischen Hintergrund der Teilungen des Staates zwischen fremden Mächten insbesondere das von Mickiewicz vertretene Konzept des polnischen Messianismus prägend.