Dass Wanderungsbewegungen gegenüber der Sesshaftigkeit der Normalfall sind, wird gern vernachlässigt; Geflüchtete, Arbeitsmigrant:innen Menschen mit Migrationsgeschichte und andere ‚Fremde‘ werden im Spannungsfeld aktueller Debatten häufig genug zu ihrem Nachteil (um-)gedeutet. Sie erfahren so eine Positionierung, die zumeist jenseits einer akteurszentrierten Herangehensweise liegt. Während Mobilität – etwa als soziale Mobilität im Sinne eines Aufstiegs oder als Reisen, Auslandsaufenthalte und andere Lifestylepraxen – gesellschaftlich eher eine positive Rahmung erfahren hat, wird Migration, insbesondere im politischen Diskurs, oft als herausfordernd oder sogar problembehaftet aufgefasst. Dabei sind beide Auslegungen zwei Seiten der gleichen Medaille. Im Kurs versuchen wir uns deshalb daran, die diese Bewegungen umgebenden Diskurse und Differenzierungen der Mehrörtigkeit durch diversitätssensible Perspektiven der kulturwissenschaftlichen Mobilitäts- und Migrationsforschung, etwa anhand des sozialkonstruktivistischen Doing Migration-Ansatzes (Vgl. u.a. Amelina 2017, S. 69), aufzubrechen und einzubetten sowie an eigenen Forschungen zu erproben.
Indem die Vergleichende Kulturwissenschaft eine gegenwartsorientierte, aber historisch fundierte Disziplin der Gesellschaftswissenschaften ist, werden sowohl aktuelle Fälle als auch solche aus der Zeitgeschichte einbezogen. Diese stammen vor allem aus dem mittel- und osteuropäischen Raum, sind aber nicht notwendigerweise darauf beschränkt.
Im Seminar werden zunächst zentrale Begriffe der kulturwissenschaftlichen Mobilitäts- und Migrations-Forschung geklärt sowie der Forschungsstand und seine (interdisziplinäre) Entwicklung diskutiert werden. Im Anschluss daran werden spezifische Fälle von Mobilität und Migration herausgearbeitet und analysiert, sodass neben einem breiten Panorama der Bewegungen auch methodologische und analytische Kompetenzen sowie der Blick für die Zusammenhänge zwischen lokalen, nationalen und globalen Entwicklungen geschult werden.
Literaturauswahl zur Seminarvorbereitung und -begleitung:
- Amelina, Anna. „3. Doing Migration und Doing Gender: Intersektionelle Perspektiven auf Migration und Geschlecht“. In: Lutz, Helma und Amelina, Anna (Hg.innen). Gender, Migration, Transnationalisierung: Eine intersektionelle Einführung, Bielefeld 2017, S. 67-90. https://doi.org/10.1515/9783839437964-005
- Bartels, Inken, Löhr, Isabella., Reinecke, Christiane, Schäfer, Philipp, & Stielike, Laura (Hg.): Umkämpfte Begriffe der Migration: Ein Inventar (Kultur und soziale Praxis). Bielefeld 2023. https://doi.org/10.14361/9783839457122
- Möhring, Maren. Jenseits des Integrationsparadigmas? Aktuelle Konzepte und Ansätze in der Migrationsforschung. Archiv für Sozialgeschichte. 2018. S. 305–330. https://library.fes.de/pdf-files/afs/bd58/afs58_20_moehring.pdf
- Möhring, Maren. Jenseits des Integrationsparadigmas? Teil II: Forschungen zur transnationalen Arbeitsmigration in Europa nach 1945. Archiv für Sozialgeschichte. 2019. S. 445–494. https://library.fes.de/pdf-files/afs/bd59/afs59_23_moehring.pdf
- Rolshoven, Johanna. Mobile Culture Studies – Kulturwissenschaftliche Mobilitätsforschung als Beitrag zu einer bewegungsorientierten Ethnographie der Gegenwart. In: Sonja Windmüller, Beate Binder, Thomas Hengartner (Hg.), Kultur-Forschung. Zum Profil einer volkskundlichen Kulturwissenschaft. Berlin 2009, S. 91-101.
- Schmidt-Lauber, Brigitta, und Manuel Liebig (Hg): Begriffe der Gegenwart. Ein kulturwissenschaftliches Glossar. Wien 2022, darin: Nimführ, Sarah: Asyl, S. 31-38; Sutter, Ove: Flüchtling, S. 99-106; Hess, Sabine: Migration, S. 187-194.; Sökefeld, Martin. Migrationshintergrund, S. 195-204. https://www.vr-elibrary.de/doi/book/10.7767/9783205212744
- Welz, Gisela: Moving Targets. Feldforschung unter Mobilitätsdruck. In: Zeitschrift für Volkskunde. 94/1998, S. 177–194. https://www.digi-hub.de/viewer/image/DE-11-001938305/189/LOG_0049/