Reisen und Essen sind kulturelle Konstrukte, die in bestimmte Kontexte eingebettet sind. Dem Essen kommt bei der Reiseerfahrung eine essenzielle Bedeutung zu, wird dieses doch als Kulturträger/Verkörperung einer Kultur– sei es die eigene oder die fremde – verstanden. Auch bedingen sich die beiden: Beliebte Reiserouten können den Ausbau des kulinarischen Angebots bedingen und dort, wo das kulinarische Angebot lockt, bilden sich Reiserouten aus. Sind kulinarische Erfahrungen einer ausländischen Küche auch im Inland zu erhalten, nimmt das Essen uns mit auf eine imaginäre Reise in eine andere Kultur. Gleichzeitig können Speisen aus der eigenen Kultur eine identitätsstiftende Funktion erfüllen und im Einzelfall eine Reise in die eigene Vergangenheit einleiten. Die wohl berühmteste literarische Introspektion und Reise in die eigene Vergangenheit, die durch eine kulinarische Erfahrung ausgelöst wird, hat Proust in seiner Recherche festgehalten: Die in Lindenblütentee getunkte Madeleine initiiert Marcels mémoire involontaire, und beschwört die Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit hervor. Die kurze Beschreibung illustriert einerseits den weitgefassten Begriff des Reisens – die reale Bewegung im Raum (In- und Ausland) als auch die imaginäre Reise, sowohl im Raum als auch in der Zeit. Hat sich die bisherige Forschung sowohl den verschiedenen Facetten des Reisens – Reise im Inland, Ausland und als Introspektion – bezüglich der Reiseliteratur als auch der kulturellen Bedeutung des Essens gewidmet, sind verknüpfende Untersuchungen bezüglich Reisen und Essen noch relativ selten. Das geplante Seminar soll einen Rahmen für die Reflexion und Diskussion beider Elemente geben.
Das geplante Tandemseminar zwischen der Universität Passau und Universität Regensburg soll den jeweiligen Studierenden der Romanistik die Möglichkeit bieten, sich über die Grenzen der eigenen Universität hinaus auszutauschen. Der Korpus des literaturwissenschaftlichen Seminars besteht aus den folgenden Texten, die eine signifikante Verknüpfung der Reise- und Essensthematik illustrieren: Die Romane Un chemin de tables von Maylis de Kerangal (2016), Une gourmandise von Muriel Barbery (2000) und 961 heures à Beyrouth (et 321 plats qui l’accompagnent) (2021) von Ryoko Sekiguchi, sowie ihrem Reiseführer Le voyageur affamé. Le Japon à Paris (2019). Behandelt der zwischen Dokumentation und Fiktion situierte Text von de Kerangal die Reise eines jungen Kochs im Rahmen seiner Ausbildung durch die französische Gastronomielandschaft und gibt damit einen Einblick in die nationale Essenskultur aus der Sicht eines Landsmannes, widmet sich der Roman von Burbery der Frage nach der identitätsstiftenden Kraft des Essens, die durch eine mentale Reise in die eigene Vergangenheit illustriert wird. Die japanische Autorin Ryoko Sekiguchi, die eine Leidenschaft für Frankreich und im Allgemeinen für Essen hat, setzt sich in ihren Werken mit der Küche anderer Kulturen auseinander, wie in dem Werk über ihren gastronomischen Aufenthalt in Beyrouth, und untersucht den transkulturellen Charakter des Essens, wenn sie die gegenseitige Beeinflussung der französischen und japanischen Küche in ihren Reiseführern thematisiert. Ziel ist es, fiktive und faktuale Texte hinsichtlich ihrer Verhandlungen und Verknüpfungen der Reise- und Essensthematik zu untersuchen. Aus dieser Verknüpfung ergeben sich folgende Fragen: Welcher Stellenwert kommt dem Essen hinsichtlich der Reise zu? Wie sehen sich diese beiden Diskurse verknüpft? Welche (trans-)nationale und (trans-)kulturelle Diskurse lassen sich am Reisen und Essen festmachen?